CREMATORY, CANTERRA

Dortmund, Piano, 14.10.2016

Ursprünglich sollte dieses Konzert schon Ende Mai stattgefunden haben. Es wurde jedoch damals abgesagt. Somit handelte es sich um einen Nachholtermin im etwas abgelegenen Piano in Dortmund, einer kleinen und sehr urigen Location, in der ein unvergleichbar klarer und angenehmer Sound vorherrscht. Alle Instrumente sind super rauszuhören und auch die Lautstärke ist angenehm dezent.

canterraDen Anfang machen Canterra aus Leipzig, die zuvor – auch ohne Label im Rücken – im Vorprogramm von Lacrimosa gespielt hatten und auch schon mit einem Review und einem Interview bei CROSSFIRE vertreten sind. Ihre Musik als Anheizer ist ebenso angenehm wie der Sound im Raum. Bei meist gemäßigtem Tempo legen sie angenehm rockend los. Die eine oder andere Orchestrierung kommt aus der Konserve, was aber nicht weiter stört. Das Dreiergespann Harry und Hannes (beide Gitarre) und Tom (Bass) bangt munter synchron im Takt. Schlagzeuger Max drischt sportlich mit Propellerbanging drauf. Das Team ist gut aufeinander eingespielt. Knackige Riffs wie bei „Come With Me“ oder „White Lies“ halten das Publikum bei Laune. Blickfang ist die hübsche Sängerin Korinna, die in einem rot-schwarzen Lederoutfit die Bühne betritt und sowohl mit ihrer lieblichen Stimme als auch mit ihrer sympathischen Art bei der Menge punkten kann. „Hurt“ kommt mit Doublebass daher und sorgt für ordentlich Wums. Zum Schluss gab es noch einen Song, bei dem Gitarrist Harry mit aggressivem Gesang für Unterstützung sorgt, was mich etwas an altes Lacuna Coil-Material erinnert. Nach knapp vierzig Minuten geht ein solider Gig zu Ende, welcher gut in der überschaubaren Menge angekommen ist.

 

crematorySo groß wie in den Neunzigern sind Crematory in Deutschland heute zwar nicht mehr. Dennoch spielen sie immer noch etwa zwanzig Gigs im Jahr; hauptsächlich im Osten und auf diversen Gothic Festivals. Aber auch kleine Clubgigs lassen sie sich hin und wieder nicht entgehen. Im Ruhrpott sind sie lange nicht mehr gewesen; zuletzt 2009 im Turock zu Essen und 2010 im Helvete Oberhausen. Man durfte also gespannt sein, wie gut das Piano gefüllt sein würde und wie die neue Besetzung ankommt, denn neben den drei Urgesteinen, Sänger Felix, Keyboarderin Katrin und Ehemann Markus hinterm Schlagzeug, sind erst seit kurzem drei Neuzugänge zu vermelden. Felix Stass betritt, mit Kutte bekleidet, auf deren Rücken das alte Crematory-Logo über dem Kiss-Backpatch thront, die Bühne. Das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf  dem neuen Album „Monument“. Man darf vor allem gespannt auf die Umsetzung der alten Songs sein, denn vor allem Ex-Gitarrist Matthias Hechler hat mit seinem starken Klargesang eine große Lücke hinterlassen. Nach dem Intro und dem Opener „Misunderstood“ vom aktuellen Output wird aber bei dem „Revolution“-Doppelschlag „Greed“ und „Tick Tack“ schnell klar, dass sein Nachfolger Tosse Basler es voll drauf hat. Unterm Strich klingt er vielleicht etwas kantiger als sein Vorgänger, ist ihm stimmlich aber sehr ähnlich. Nach dem neuen Track „Haus Mit Garten“ bekommt Neuzugang Tosse seinen ersten Soloauftritt. Es ertönt ein Klavier vom Band und er gibt das Distain-Cover „Like The Tides“ zum besten, wo er stimmlich brilliert. Es folgt „Sense Of Time“ vom genialen, 2010 erschienenen „Infinity“-Album, bevor es mit „Ravens Calling“ wieder etwas Aktuelles gibt. Mit „Left The Ground“ graben Crematory nach längerer Zeit mal wieder einen Song vom 2008er Album „Pray“ raus. Mit „Everything“ vom neuen Album geht es wieder etwas seichter zur Sache. Etwa zur  Mitte des Sets gibt es die Bandvorstellung, woraufhin die drei Urmitglieder die Bühne vorerst verlassen und der Rest mit der Ansage „Wir sind die drei Neuen“ für eine große Überraschung sorgen: Die beiden Gitarristen Rolf und Tosse, sowie Bassist Jason, der ständig Grimassen zieht, performen nämlich zu dritt die schöne White Lion-Ballade „When The Children Cry“, die eigentlich überhaupt nicht zum Rest der üblichen, eigenen Songs passt. Wahnsinnsversion! Hut ab! Es folgt „Shadowmaker“ vom letzten Album „Antiserum“. Erst jetzt gibt es den zweitältesten Song der Setlist, das schön tanzbare „The Fallen“ vom 2000 erschienenen Album „Believe“. Vom 2006er Album „Klagebilder“ gibt es „Höllenbrand“, von „Infinity“ dann „Black Celebration“, bevor der reguläre Teil der Setlist beendet ist. Der Zugabenteil wird dann mit „Kommt Näher“ eröffnet, gefolgt von „Die So Soon“ vom neuen Album. Crematory verlassen ein weiteres Mal die Bühne. „Haben wir noch etwas vergessen?“, fragte Felix in die Menge, aber es war klar, dass sie ohne das obligatorische „Tears Of Time“ nicht gehen durften. Das Ende wird drastisch in die Länge gezogen, damit sich auch Leadgitarrist Rolf Munkes mit einem langen Solo beim Publikum vorstellen kann, während Tosse crematoryschon zwei Balladen gesanglich zum besten gegeben hatte. Dies ist leider auch der älteste Song des Sets, ist er doch 1995 auf dem dritten Album „Illusions“ erschienen. Zur Jahrtausendwende gab es die Entwicklung Richtung elektronischerer Klänge. Somit bleibt „Tears Of Time“ der einzige Song im Set, der aus den Neunzigern stammt, in denen Crematory immerhin sechs Alben veröffentlicht hatten. Das macht aber nichts. Das Zusammenspiel ist brillant und es scheint eigentlich unmöglich, dass diese Besetzung erst seit knapp einem halben Jahr in dieser Form zu gemeinsam musiziert. Wahnsinn! Über fast hundert Minuten lang bleibt die Stimmung gut, was vor allem auch an den witzigen und unterhaltesamen Running Gags liegt, die Sänger Felix immer wieder aufgreift. In dieser Form ist mit Crematory noch lange zu rechnen! 

 



Autor: Daniel Müller - Pics: Daniel Müller