BLIND GUARDIAN - Wir haben nie unsere Wurzeln verleugnet!


Neues aus dem Hause Blind Guardian: Nach ihrer ausgedehnten Europa-Tour legen die Krefelder Ausnahme-Metaller Blind Guardian rund um Sänger und Basser Hansi Kürsch nun mit „Live Beyond The Spheres“, ein drei CDs oder vier LPs umfassendes Live-Album mit insgesamt zweiundzwanzig ausgesuchten Strecken vor. Die immer größere Beliebtheit des Vierers ist neben den hohen Chartpositionen (mehrfach in den Top Fünf der deutschen Media Control Charts zu finden) der letzten Scheiben, auch an den gefeierten Konzerten festzumachen. Wenn das mal kein Anlass ist, dem Ganzen einmal auf den Zahn zu fühlen! Und so stellte sich netterweise Ausnahme-Gitarrist Marcus Siepen unseren Fragen.

logoMarkus: Hallo Marcus, erstmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album „Live Beyond The Spheres“. Wie ist es denn zu der Entstehung der neuen Live Scheibe gekommen und was waren die Auswahlkriterien für die Songauswahl?

Marcus: Danke schön! Wir fanden es war einfach mal an der Zeit, da unser letztes Live-Album aus dem Jahr 2003 stammt und damit schon wieder vierzehn Jahre her ist und mittlerweile drei Studioalben herausgebracht wurden. Zudem hatten wir mit Frederik einen Line-Up Wechsel, der erst nach dem letzten Live-Album zu uns gekommen ist und wir mit ihm noch nichts live veröffentlicht hatten. Dabei haben wir die Gelegenheit genutzt, um während der „Beyond The Red Mirror“-Tour alles soweit aufzunehmen. Was die Songauswahl für das Live-Album angeht, ist logischerweise durch die Tour-Setlist ein gewisser Rahmen vorgegeben. Wir präsentierten einen Mix aus Songs von dem aktuellen Album sowie den Klassikern, die man spielen muss, weil ansonsten alle Fans sauer sind.

Markus: Ist das wirklich so?

Marcus: Das ist so! Du hast Songs, die du bringen „musst“. Wir wehren uns ein bisschen dagegen und haben mittlerweile auch damit angefangen, einige davon wegzulassen. Es gab zum Beispiel reichlich Shows ohne „Valhalla“ und sogar eine Show ohne den „Bard´s Song“. Ich liebe es zwar, den „Bard´s Song“ zu spielen, habe aber auch keinen Stress, die Nummer mal nicht zu spielen. Dann sieht man das große Fragezeichen im Publikum, wenn du das Konzert beendest hast, und du hast gewisse Nummern nicht gespielt. Ich möchte aber auch zu nicht zu berechenbar in meiner Songauswahl sein. Es gibt sehr viele Leute, die diese Nummern als gesetzt ansehen. Das sind sie aber nicht! Ich sage nicht, dass diese Klassiker nicht wieder gespielt werden, aber wenn du solche Nummern nicht einmal rauskickst, wird ein Set auf Dauer auch mal langweilig, weil du keinen Platz für etwas Anderes hast.

Markus: Das kann ich mir gut vorstellen und passt ganz gut zu meiner nächsten Frage. Mit  „Majesty“, „Banish From Sanctuary“ und das besonders intensiv vom Publikum mitgesungene „Valhalla“ sind auch Songs aus den frühen Anfängen der Band vertreten. Viele Bands verschmähen durchaus ihrer ersten „Gehversuche“, und spielen nur die etablierten Songs. Ich persönlich finde es sehr gut, dass man auch zu seinen Anfängen steht. Wie siehst du das?

Marcus: Das sehe ich genauso. Wir haben nicht den geringsten Grund, uns über irgendeine Phase der Bandgeschichte zu schämen, sei es für ein Album wie „Battalions Of Fear“ bis hin zu „Beyond The Red Mirror“. Jede Platte hat ihre Berechtigung, und dementsprechend spielen wir die Sachen auch. Für mich spielt aber auch eine Rolle, dass zum Beispiel „Majesty“ seit 1986 gespielt wird, also gefühlt seit dreihundert Jahren, und irgendwann ist es auch mal nett, die Nummer nicht zu bringen. Es ist nicht so, dass wir die Frühphase der Band ignorieren. Wir stehen zu allem, was wir gemacht haben, aber du musst eine Balance finden, um auch neue Sachen von dem aktuellen Album präsentieren zu können. Wir spielen schon ziemlich lange Shows im Vergleich zu anderen Bands, welche nach siebzig Minuten Feierabend machen. Da wir zwischen zwei und drei Stunden auf der Bühne stehen, bekommen wir mehr Stücke in das Set gepresst, aber auch da ist irgendwann auch Schicht, und du musst einen goldenen Mittelweg finden und schon mal ein paar Sachen weglassen.

Markus: Es gibt halt Leute, die auf ein Konzert gehen und drei oder vier spezielle Titel hören wollen und dann enttäuscht sind, wenn sie nicht kommen. Dieses Problem hat aber wahrscheinlich jede Band.

Marcus: Dies ist zwangsläufig so, aber du kannst es nicht jedem recht machen. Daher versuchen wir es erst gar nicht. Es wird immer Leute geben, die möppern, weil sie ihr Lieblingslied nicht gehört haben, aber dann ist es das halt so. Derjenige hat die Chance dann beim nächsten Konzert eventuell seine Lieblingsstücke zu hören. Wir stellen das Set nach unserer Vorstellung zusammen, da wir nicht wissen können, was die jeweiligen Fans hören möchten.

Markus: Wenn du nochmal zurückschaust, ging damals die Umbenennung von Lucifers Heritage zu Blind Guardian mit deinem Einstieg in die Band einher?

Marcus: Es lag schlicht und ergreifend daran, dass ich zu Lucifers Heritage-Zeiten eingetreten bin und wir damals auf Grund des Namens Lucifer in die Black Metal-Schublade gesteckt wurden; und viele Leute sofort die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, so nach dem Motto, das Höre ich mir erst gar nicht an. Wir haben niemals Black Metal gemacht und wollten halt die Namensänderung, um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen. Während der Aufnahmen zum Debüt-Album haben wir uns auf den Namen Blind Guardian geeinigt, was auf den Song „Guardian Of The Blind“ zurückzuführen war. Das passt deutlich besser zu unseren Texten und unserer Musik, und wir haben es nie bereut. Es hat also nichts mit mir zu tun.

Markus: Inwieweit hat euch damals J.R.R. Tolkien inspiriert, Songs zu schreiben?

Marcus: Fantasy war für uns immer schlicht eine Art Inspiration, da wir auf Bücher und Literatur stehen. Das fing bei Tolkien an, bis hin zu „Game Of Thrones“ heutzutage. Diese Motivationsquelle wurde von uns immer wieder erweitert, über die Mythologie bis hin zu King Arthur. Es können auch reale Geschichten hinter den Texten stehen, welche in ein Fantasy-Gewand gepackt werden. Wir haben uns aber nie bewusst hingesetzt, um bestimmte Texte zu verfassen. Das hat sich automatisch so ergeben und wurde von uns auch nicht in Frage gestellt. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass Hansi Songs im Stile von Rage Aganist The Machine singt. Das würde zu unserer Musik genauso wenig passen, wie es sich auch andersherum verhält.

Markus: Songs wie zum Beispiel „Lost In The Twilight Hall“ oder „The Last Candle“ (welche im Übrigen auch dankenswerter Weise auf der neuen Live-Scheibe enthalten sind) gehörten damals zu meinen absoluten Faves. Wie ging die Entwicklung vom Power beziehungsweise Speed Metal zum epischen Progressive Metal Act vonstatten?

Marcus: Es ist eine vollkommen natürliche Entwicklung. Am Anfang waren wir natürlich eine melodische Speed Metal-Band, aber wir hatten nie Bock, uns ständig zu wiederholen und haben daher immer mit verschiedenen Sachen experimentiert. In „Follow The Blind“ haben wir Akustikgitarren eingepflegt. Weiter ging es dann über „Lord Of The Rings“ und den „Bard´s Song“. Wir waren immer offen für neue Einflüsse, weil wir uns immer weiter entwickeln wollten, egal in welche Richtung. Es gab keine bewusste Entscheidung, epischer oder progressiver zu agieren. Wir haben einfach mit gewissen Sachen rumgespielt, um zu sehen, was letztendlich dabei herauskam. Wir wollten auch niemals das gleiche Album zweimal aufnehmen. Wir sehen uns schlicht als eine Heavy Metal-Band, denn alles andere wäre einschneidend. Wir haben zum Beispiel vor kurzem mit „Twilight Of The Gods“ einen der schnellsten Songs gemacht und wollen uns einfach nicht klassifizieren lassen. Wir haben sicherlich alles schon einmal gemacht, aber dennoch dabei nicht unsere Wurzeln verleugnet. Der Kern wird gleichbleiben, aber wir wollen den Sound immer weiter verfeinern, um uns auch interessant zu halten. Wenn wir immer noch so klingen würden wie auf „Battalions Of Fear“, hätten wir uns wahrscheinlich schon lange aufgelöst. Das bezieht sich natürlich auch auf alle anderen Alben, denn wir möchten nicht dauerhaft nur auf der Stelle treten.   

blind guardianMarkus: Das ist durchaus verständlich. Ihr lasst euch ja durchaus schon Zeit zwischen euren Veröffentlichungen, während so einige Bands fast schon im Jahresrhythmus ihre Scheiben heraushauen. Gibt es dafür besondere Gründe?

Marcus: Es gibt gleich zwei Gründe: Zum einem touren wir recht lange. Die „Beyond The Red Mirror“ kam im Jahre 2015 heraus, und wir sind direkt nach dem Release bis zum September 2016 auf Tour gegangen. Während dieser Zeit können wir keine neuen Stücke schreiben. Bei dem Versuch würde alles so klingen, wie man es den ganzen Tag im Kopf hat, und das führt zu einer nicht gewollten Beeinflussung im Songwriting. Wir warten daher, bis die Tour beendet ist, und gehen frisch ans Werk. Der zweite Grund ist das ziemlich aufwändige Songwriting. Wir benötigen alleine ein bis anderthalb Jahre, bis zehn bis zwölf Songs komponiert und geschrieben sind. Die Aufnahme und das Mixen nimmt nochmals ein halbes Jahr in Anspruch und Schwupps sind schnell vier Jahre herum. Es ist nicht so, dass wir uns ein Jahr Urlaub gönnen. Das ist halt unser entwickelter Rhythmus. Wir könnten uns natürlich eine Deadline von einem halben Jahr setzen, doch wir wollen keine qualitativen Kompromisse machen und nehmen uns die Zeit um unser Level zu erreichen.

Markus: Daran schließt sich sofort die nächste Frage an: Gibt es eigentlich bei Euch einen normalen Alltag?

Marcus: Natürlich gibt es einen normalen Alltag. Er unterscheidet sich halt dadurch, in welcher Phase die Band ist. Ich stehe zurzeit mit meiner Frau auf, und wir frühstücken zusammen. Wenn sie zur Arbeit fährt, gehe ich in mein Studio, schnappe mir eine Gitarre und übe neue Songs ein oder bereite mich auf Livestücke vor. Wenn man auf Tour ist, sieht das natürlich anders aus. Du bist die halbe Zeit auf Reisen und spielst abends deine Konzerte in einem relativen geregelten Ablauf. Wenn du nachts gegen eins von der Bühne kommst, bist du so voller Adrenalin, dass man eh nicht vor drei Uhr schlafen kann. Man sitzt dann im Bus oder quatscht und schläft dann auch dementsprechend länger. Am nächsten Tag stehen dann so Sachen wie Soundchecks oder Interviews an. Das Sightseeing und Bummeln in einigen Städten ist natürlich ein angenehmer Nebeneffekt.

Markus: Du hast ja auch eine Zeitlang parallel bei Sinbreed mitgewirkt, was hat dich veranlasst die Band wieder zu verlassen?

Marcus: Es kollidierte mit Blind Guardian. Wir hatten Ende 2014 ein bandinternes Meeting, mit der Überlegung, ein Album mit anschließender Tour für 2015 zu planen. Da wir aber gerade mit Blind Guardian in der Promo-Phase waren, hatte ich leider keine Zeit für etwas Anderes. Obwohl ich die Leute liebe und Spaß hatte, stand es schon zu Beginn bei mir fest, dass ich nur in ruhigen Phasen bei Sinbreed aktiv sein kann. Blind Guardian wird immer zu hundert Prozent in meinem Fokus stehen. Ich konnte nicht von der Band erwarten, dass sie auf mich zwei Jahre wartet, und so habe ich die Konsequenz gezogen und bin ausgestiegen. Die Truppe hat dann anschließend dennoch auch ohne Fredrik (aus denselben Gründen) die Platte aufgenommen und trotzdem einige Gigs gespielt.

Markus: Wie geht ihr mit dem Erfolg um? Gibt es überhaupt noch musikalische Herausforderungen für dich und die Band? Und woher nimmt ihr die Ideen für neue Innovationen?

Marcus: Wir genießen ihn, denn die letzten zwei Jahre war die größte und erfolgreichste Tour, die wir je gemacht haben. „Beyond The Red Mirror“ ist meiner Meinung nach das beste Album der Band, obwohl diese Bewertung auch tagesabhängig ist. Es ist schön, das entsprechende Feedback für diesen Erfolg zu bekommen. Es gibt immer neue Sachen, mit denen du experimentieren kannst, wie zum Beispiel die Arbeit mit einem echten Orchester. Wie auf der „At The Edge Of Time“, was natürlich auch deutlich besser klingt als jedes programmierte Keyboard. Bei der letzten Scheibe haben wir erstmals mit tiefer gestimmten Gitarren experimentiert, was wiederherum auch ganz andere Möglichkeiten bietet. Der zukünftige Ansatz steht noch nicht fest. Das wichtigste ist allerdings, dass wir es genießen, in dieser Band zu spielen. Ich lebe dieses Leben und die Musik, wovon ich immer geträumt habe. Von daher ist für mich alles perfekt und motiviert, damit weiter zu machen. Wir hatten natürlich auch enorm viel Glück trotz der harten Arbeit, aber du hast nie eine Garantie, wenn alle anderen Umstände nicht mitspielen. Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, haben dafür gekämpft den richtigen Schritt zu machen und wurden dafür belohnt.

Markus: Ist schon eine umfangreiche Tour geplant und gibt es weitere Pläne oder lasst ihr euch spontan inspirieren?

Marcus: Wir spielen über den Sommer, vornehmlich in Europa, noch ein paar Festivals; insgesamt etwa zehn oder zwölf Shows. Mehr ist zurzeit allerdings nicht geplant. Im Moment schreiben wir wieder neue Songs und möchten endlich zusammen mit den Gesangsaufnahmen von Hansi unser Orchester-Album fertigstellen. Weitere Live-Aktivitäten sind aktuell aber nicht geplant.

blind guardianMarkus: Die letzte Frage gehört euch: Gibt es etwas, was ihr schon immer den vielen treuen Fans mit auf den Weg geben möchtet oder einfach nur sagen wollt?

Marcus: Es gibt viele Sachen, die man sagen möchte, aber die Standardantwort ist natürlich: Danke für den Support! Denn ohne die Fans gibt es keine Band und keine Tour, und das Live-Album würde auch anders klingen. Von daher ein riesiges Dankeschön dafür! Ein Tipp für alle Fans, wenn ihr das Konzert noch mehr genießen möchtet: LASST EURE SCHEISS HANDYS IN DER TASCHE UND NEHMT SIE NICHT RAUS! Das ist eine Unart, die sich die letzten Jahren entwickelt hat. Die komplette erste Reihe an Leuten in einer großen Halle hat sich über zwei Stunden kaum bewegt, weil sie das Handy hochgehalten und dabei ins Display gestarrt haben. Genießt es lieber in 3D und in echt und vergesst die verwackelten Handyaufzeichnungen. Da wäre meine Bitte!

Markus: Vielen Dank für das Interview. Es hat riesen Spaß gemacht, Dich zu befragen, auch für deine informativen und ausführlichen Stellungnahmen. Ich hoffe, ihr habt weiter viel Freude, und dass eure Platte gut einschlägt! Vielleicht sieht man sich ja auf einem eurer nächsten Konzerte. Tschüss!

Marcus: Alles klar, ich werde da sein! Sage einfach Hallo. Tschüss!

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Autor: Markus Peters