EVERGREY - Das Kubana ist einfach der beste Klub der Welt!


Von unserem niederländischen Freund Theo Samson - wer erinnert sich nicht an den Rock Temple in Kerkrade? - kam die Anfrage, ob wir nicht ein Interview mit Tom Englund und Jonas Ekdahl zum neuen Evergrey-Album führen möchten. Schon alleine die Information über den Ort des Geschehens machte ein „Nein“ quasi unmöglich. Und so fuhren wir an einem regnerischen November Nachmittag zur Abtei Rolduc bei Kerkrade, unmittelbar an der deutsch – niederländischen Grenze. Diese Anlage alleine lohnt schon die Reise dorthin. Dort trafen wir auf die beiden sehr entspannten und mitteilsamen Schweden, die auch einiges aus dem Nähkästchen erzählten. Dass wir dabei zufällig in Toms Privatleben eindrangen, hat er uns dann hoffentlich verziehen. Es war jedenfalls eine anregende Unterhaltung unter acht Augen über Locations, Bier und andere großartige Musiker. So ganz nebenbei entstand dann auch noch ein Werbefoto für das Nikolaut Festival in Oberhausen, das am 8.12.18 stattgefunden hat.

logoPistol: Hallo Tom, Hallo Jonas! Möchtet Ihr uns etwas über das neue Album „The Ocean“ erzählen? Also die Idee dahinter und wie es entstanden ist?

Tom: Ähem, also es heißt „The Atlantic“, haha! (Ups, voll vertan, aber das ist ja auch ein Ozean – Anm. des Verfassers) Es ist ein Kapitel… Ey Theo, halt den Mund (Theo Samson war ein paar Meter weiter mit Leuten am quatschen), haha! Ich sage ihm das dauernd, sei still!

Pistol: Aber er ist ja sonst ein netter Kerl.

Tom: Ja natürlich! Wir arbeiten schon seit zwanzig Jahren zusammen, und jeder kennt den anderen sehr gut.

Andrea: Wir wollten ja eigentlich etwas über das neue Album hören?

Tom: Ja klar, es ist unser neues Baby. Es ist das dritte Kapitel einer Serie von Alben, die wir aufgenommen haben. Es geht um die Reise einer Person, die auf einmal realisiert, dass sie etwas verändern muss. Wir haben ein Stück Musik erschaffen und sehr hart dafür gearbeitet. Wir sind sehr glücklich damit.

Andrea: Also habt Ihr quasi die letzten zwei Jahre an dem Album gearbeitet?

Tom: Nein, eigentlich haben wir erst einmal Ideen und Gedanken zusammen getragen. So richtig begonnen habe ich damit am letzten Weihnachten. Letztlich haben wir uns dann im Februar getroffen und beschlossen, die Arbeit dafür zu beginnen. Wie das so ist, du filterst die Ideen, suchst dir das Beste raus und fängst an, die Lieder zu schreiben. Na ja, und die Jungs bringen ihre Gedanken und Vorschläge ein.

Andrea: Dann bist Du so etwas wie der kreative Fokus der Band?

Tom: Ja, das kann man so sagen.

Jonas: Na, das produzieren ist schon eine Menge Arbeit, die dir einiges abverlangt. Viel Stress, weißt du, bis alles glatt läuft. Na ja, und dann hatten wir noch einige Rückschläge: Es wurde eingebrochen und jede Menge Sachen gestohlen. Sie habe unsere ganzen Computer geklaut, wo Toms Vocals drauf waren. Das Programmierte und so, einfach alles.

Tom: Ich hatte bereits drei Songs fertig zu dem Zeitpunkt. Aber die waren natürlich genauso wie alle Backups auf den Computern. Also mussten wir alles noch einmal neu machen.

Pistol: Wie kommt es, dass jedes neue Evergrey-Album so hervorragend ist? Verrätst Du mir das Geheimnis?

Tom: Ich denke, weil wir einfach Musik für uns schreiben und über Dinge, die uns passiert sind. Wenn du das so machst, hast du schon 80 Prozent der Formel. Ich glaube, dass es daran liegt, und natürlich das Vertrauen innerhalb der Band, dass jeder bestrebt ist, sein Bestes zu geben. Das braucht natürlich ein paar Jahre, bis es dann wirklich so ist. Wir arbeiten jetzt schon so lange zusammen. Jonas hier ist der Jüngste bei uns, und er ist schon seit 14 Jahren dabei. Okay, mit einer kleinen Pause zwischendurch. Aber wir kennen uns untereinander alle sehr gut. Das hilft schon sehr viel. Was uns natürlich auch sehr hilft, ist, dass wir alle ziemliche Nerds sind, wenn es um ein neues Album geht und unsere Visionen umsetzen wollen.

evergreyAndrea: Ist es denn so, dass zuerst die Texte und die Idee da sind oder aber die Musik?

Tom: Aktuell ist es eigentlich ein wenig von beidem. Ich sagte ja bereits, dass es eine Trilogie ist, und das ist natürlich ein roter Faden, die Geschichte, die sich durch diese Alben zieht. Ich kannte die Geschichte gar nicht bis zu dem Zeitpunkt, als ich die Texte schrieb. Sie reflektierten sozusagen den Tag, an dem ich sie schrieb. Und weil Du es erwähntest: Die Musik fanden wir dann dazu. Den Keyboard-Sound, der sich ebenfalls wie ein roter Faden durch die Kompositionen zieht.

Jonas: Ja, das ist ein ganz signifikanter Sound für dieses spezielle Album. Das hilft auch sehr viel, weil du die Richtung damit festlegst und wie es nachher klingen soll. So wussten wir, wo wir hin wollten. Es ist nicht so, dass es in jedem Stück so ist.

Tom: Hauptsächlich für uns, es ist nicht so, dass ich Dir jetzt erzähle, in dem Stück ist es oder in dem Stück und da wieder nicht.

Andrea: Und die Leute leben es, Eure Mischung aus Metal und Hard Rock; auch die progressiven Einflüsse, die ja sehr stark sind. Wo würdet ihr eure Musik einsortieren, heute in 2018?

Tom: Na, ich würde sagen, Metal mit progressiven Elementen.

Andrea: Ich glaube, dass Leute aus beiden Richtungen Eure Musik sehr schätzen. Wir haben schon etliche Eurer Shows gesehen, und das Publikum war immer eine Mischung der unterschiedlichsten Metal-Fans.

Tom: Das sehe ich auch so. Die Leute kommen auch etwas runter und haben zusammen Spaß.

Pistol: Nun habt Ihr wahrscheinlich schon genug über das neue Album erzählt in den letzten Tagen. Wie fühlt Ihr Euch gerade?

Tom: Oh, wir fühlen uns blendend!

Jonas: Wir hören von vielen Leuten, dass sie sehr beeindruckt von unserer neuen Platte sind. Das ist natürlich äußerst befriedigend für uns.

Tom: Klar, das hoffst du ja, dass die Leute es mögen. Aber es ist schon seltsam. Wir geben schon seit vielen Jahren Interviews. Dieses Mal sehe ich aber etwas in den Augen derjenigen, die uns interviewen, das ganz anders ist. So als wenn sie dir sagen, das ist echt die beste Scheibe, die du jemals veröffentlicht hast. Irgendwie ist es ganz anders dieses Mal. Und natürlich ist es absolut großartig, wenn du seit so vielen Jahren Musik machst und die Menschen immer noch begeistern kannst. Vielleicht siehst du uns in einem anderen Licht, aber erkennst, dass wir trotzdem noch progressiv sind.

Pistol: Wann kommt Ihr wieder auf Tour in Deutschland? Ich habe bisher nur eine Show zusammen mit Kamelot in Holland gefunden. Oder supportet Ihr die ganze Tour?

Jonas: Nein, wir haben zehn oder zwölf Shows mit Kamelot zusammen.

Pistol: Ah okay, nächstes Jahr ist auch eine Show in Bochum von Kamelot. Seid Ihr dabei?

Tom und Jonas: Auf jeden Fall, da spielen wir auch!

Jonas: Aber nach der Kamelot-Tour gehen wir für fünf Wochen auf unsere eigene Headliner-Tour durch Europa.

Tom: Wir werden auf jeden Fall präsent sein, auch auf einigen Festivals und ganz speziell natürlich in Deutschland. Hier ist einfach das beste Publikum. Die Leute geben uns Inspiration und ein gutes Gefühl dazu.

Pistol: Das letzte Mal sahen wir Dich in Flip Flops und Shorts aus der Sauna kommend. Wie gefällt Dir der Kubana Live Club (in Siegburg) im Vergleich zu anderen Locations?

Tom: Wo war das, haha? Ja klar, das Kubana, das ist einfach der beste Klub in der Welt!

Andrea: Du standest auf der Bühne und hast gesagt, „Ich habe noch nie so gut gerochen“.

Tom: Haha, der ganze Tour-Bus war eine einzige riesige Parfum-Flasche. Wir sind extra einen Tag früher gekommen, um die Annehmlichkeiten dieses phantastischen Klubs zu genießen.

Jonas: Wir werden das wieder tun. Und Jürgen, der Inhaber, ist einfach ein unglaublicher Kerl.

Tom: Ja, er ist supernett und tut alles für die Musiker, die dort spielen. Es ist einfach großartig, an so eine Ort zu kommen, wenn du für einige Wochen auf Tour bist und kannst dich mal entspannen. Du hörst nicht stundenlang die Snare Drum vom Soundcheck. Ich hasse Soundcheck, haha!

evergreyAndrea: Jürgen ist wirklich ein Supertyp, und er steht vor allem dahinter und supportet auch gerade die Bands, die den Laden nicht ausverkaufen. Dafür holt er sich die Coverbands, um ein gesundes Mischverhältnis zu schaffen.

Tom: Ja genau, das macht es aus, es ist wahnsinnig cool. Und es unterscheidet sich deutlich von anderen Klubs. Er hält die Szene am Leben.

Pistol: Was denkt Ihr, wie kommt es, dass Schweden so viele phantastische Bands hervorbringt?

Tom: Einer der Gründe ist wohl, dass wir in einem sehr privilegierten Teil dieser Welt leben. Wir können uns teure Instrumente leisten, dazu werden wir vom Staat unterstützt. Es gibt Proberäume und so weiter, alles, was das Musizieren erleichtert. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch sehr lange dunkel und kalt in Schweden, und du musst irgendwohin mit deiner Kreativität. Ich glaube, die Dunkelheit bringt das hervor. Deine Umgebung im  Allgemeinen ist wohl dafür größtenteils verantwortlich. Egal ob du in Berlin, Göteborg oder woanders lebst: Die Umgebung formt dich auch mit. Jetzt wie in Göteborg: Die Musik ist düster und melodischer Metal, wie zum Beispiel auch In Flames oder wir eben, und all die anderen aus der Gegend hier.

Jonas: Man kann alles super gut verbinden. Die Kids nehmen sich ein Instrument, suchen sich einen Lehrer und legen los.

Pistol: Ich finde, Ihr seid einzigartig in der Welt. Ich kenne keine andere Gegend, wo Musiker solche Unterstützung bekommen wie in Skandinavien.

Andrea: Es ist schon ein großer Unterschied zu Deutschland oder auch anderen Ländern. Gerade auch zurzeit die Bands aus Osteuropa, wie zum Beispiel Jinjer aus der Ukraine. Da gibt es überhaupt keine Unterstützung, im Gegenteil. Obwohl sich da gerade ein Markt öffnet, einerseits für Bands von dort und andererseits für westliche Bands ein Anreiz, vielleicht dort einmal zu spielen.

Tom: Nur so funktioniert es aber.

Pistol: Viele Musiker spielen heutzutage in mehreren Bands oder Projekten. Eher aus Langeweile oder um den Lebensunterhalt zu verdienen?

Tom + Jonas: Nur wegen des Geldes, haha!

Jonas: Na, das hat wohl auch viel mit der kreativen Inspiration zu tun. Man möchte auch mal etwas anderes spielen. Speziell in meinem Fall: Ich bin besessen von Musik. Manchmal ist es einfach nicht genug, nur Evergrey-Stücke zu komponieren. Du willst einfach mehr schreiben und vor allem auch andre Stile ausprobieren.

Tom: Das ist wie kochen: Du kannst nicht die ganze Woche das gleiche verfickte Essen kochen; und schon gar nicht zwanzig Jahre lang. Wir müssen auch mal was anderes zu bereiten. Trotzdem liebe ich Pasta Carbonara immer noch, haha! Genau das ist es ja, was uns wachsen lässt als Musiker. Natürlich ist Evergrey die wichtigste Sache in meinen Leben, und das weiß auch jeder. Ich schreibe auch einiges an Metalcore Musik in einem anderen Projekt, aber da ist kein Bedarf, das in Evergrey zu integrieren. Wenn ich das nicht tun würde, wäre mein Kopf wahrscheinlich schon explodiert.

Andrea: Eine Art Überdruckventil für die Kreativität?

Tom + Jonas: Ja genau!

Jonas: Dadurch erfahren und lernen wir natürlich auch die meiste Zeit neue Dinge, die letztlich auch wieder Evergrey zu Gute kommen.

evergreyAndrea: Gut, aber verratet mir eins: Welche Art von Musik würdet Ihr gerne erkunden, die Ihr bislang nicht für Euch entdeckt habt?

Tom: Ich kann nur für mich reden, aber eigentlich gibt es da nichts. Ich bin vollkommen zufrieden. Wir nutzen aber die Gelegenheit, neue Leute zu treffen, um unseren Horizont zu erweitern: Reisen, neue Inspirationen bekommen, andere Kulturen verstehen und alles, was dazu gehört.

Jonas: Leute treffen und sich austauschen, das ist doch, was das Leben ausmacht.

Pistol: Wir haben zufällig das neue Album von Oceans Of Slumber gehört, auf dem Du ja mitsingst. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Tom: Ja, das war so: Sie sind große Evergrey-Fans, und wir tourten gemeinsam durch Amerika. Nach der Show in Texas luden sie uns in ihr Haus ein; mit Schwimmbecken und großer Grillparty abends. So blieben wir die ganze Nacht. Sie eröffneten die Shows für uns vor etwa drei Jahren. Dann waren wir noch woanders in Amerika unterwegs, und wie wir wieder nach Texas zurückgekommen sind, fragten sie mich, ob ich vielleicht einen Song mit ihnen zusammen singen würde. Also sind wir mit dem Tourbus zum Studio, und ich sang den Song mit ein. Es ist ein verdammt großartiges Stück! Hast Du das Video dazu schon gesehen?

Pistol + Andrea: Nein, aber das ganze Album ist wahnsinnig stark! Absolut unüblich für eine amerikanische Band, vor allem mit einer farbigen Sängerin in diesem Genre.

Tom: Stimmt, sie erinnern mich auch sehr an Kings X und Jimi Hendrix, haha!

Jonas: Die sind einfach unglaublich gut.

Tom: Es ist schon überraschend für das amerikanische Metal-Publikum. Kennt Ihr Mothers Finest (welche Frage, natürlich – Anm. Des Verfassers)? Die haben den lustigsten Kommentar abgelassen, den ich jemals gehört habe. Sie spielten auf dem Sweden Rock, und einer von ihnen ging ans Mikrofon und sagte, „Die Leute sagen, Schwarze können diese Art Musik nicht spielen. Ey, wir haben den Scheiß erfunden!“

Pistol: Kennst Ihr das Album „Iron Age“ von Mothers Finest?

Tom + Jonas: Nein, kennen wir nicht.

Pistol: Das müsst Ihr hören! Es ist schon sehr alt, aber größtenteils purer Heavy Metal. Aber nebenbei: Sie sind immer noch auf Tour. Wir haben sie erst kürzlich im Kubana gesehen, und Joyce „Baby Jean“ Kennedy ist verdammte siebzig Jahre alt.

Tom wiederholt genüsslich die Ansage „We invented this shit!“, und alles lacht lauthals.

Pistol: Ich habe gelesen, dass Deine Frau Carina auch Gitarre spielt und auf vielen Evergrey-Alben den Background singt. Nehmt Ihr sie denn auch mit auf Tour?

Tom: Also, zuerst einmal: Sie ist nicht mehr meine Frau (Sorry, das wusste ich nicht – Anm. des Verfassers). Wir haben uns getrennt. Aber ich habe sie auch noch nie Gitarre spielen gehört, haha! Doch, sie hatte mal eine in der Hand, aber ich würde sie nicht als Gitarristin bezeichnen. Aber natürlich ist sie auf allen Alben als Backgroundsängerin zu hören, außer dem Neuen jetzt. Wir haben uns jedoch im Guten getrennt. Also ist alles im grünen Bereich!

evergreyPistol: Womit beschäftigt Ihr Euch denn, wenn Ihr mal kein Album aufnehmt oder auf Tour seid?

Tom: Schlafen, Bier trinken und Essen kochen, haha!

Jonas: Andere Musik schreiben oder trainieren gehen.

Andrea: Lebt Ihr denn relativ nahe beieinander?

Jonas: Ja, das tun wir schon.

Tom: Ja schon, aber wir hängen nicht dauernd zusammen. Wir sind zwar mehr zusammen wie die meisten Familien, zumal auf Tour, wenn du rund um die Uhr zusammen bist. Wenn du Musiker bist, bereist du eben die Welt. Das ist dein Lebensstil, den du dir ausgesucht hast. Manchmal tauschst du die Erinnerungen aus, wie kleine Kinder. Jetzt hier zum Beispiel, das ist Freizeit. Ich finde, das ist schon extremer Luxus, hier in deiner freien Zeit zu sitzen, Bier zu trinken und über deine Musik zu reden.

Jonas: Ja, und da bin ich auch sehr dankbar für.

Andrea: Und ich denke, unseren Lesern wird das Interview mit Euch sehr gefallen. So viele Informationen und Insider-Dinge aus einem anderen Blickwinkel! Nicht nur das Album, sondern das Drumherum. Vielleicht hören die Leute dann noch aufmerksamer zu.

Pistol: Gut, dann bedanke ich mich für Eure Zeit und das nette Gespräch hier in dieser wunderbaren Location. Gibt es noch etwas, das Ihr unseren Lesern mitteilen möchtet?

Tom: Nein, kommt einfach und checkt uns, wenn wir in Eurer Stadt sind. Wir sind eine ganz gute Live-Band. Also verpasst es nicht!

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Autor: Pistol Schmidt