HANGATYR - Uns erstaunt selbst, dass wir des Öfteren dem Black Metal der Neunziger Jahre zugeordnet werden!


Das Jahr 2020 hat gerade erst begonnen, und schon steht uns bereits ein Black Metal-Highlight des Jahres bevor: Die Thüringer Hangatyr legen mit ihrem dritten Langeisen „kalt" ein Werk vor, welches frostig und majestätisch zugleich ist. Der Spirit des nordischen Black Metals der Neunziger wurde dabei gekonnt eingefangen, ohne das Album retro oder altbacken klingen zu lassen. Ganz im Gegenteil: Das in Eigenregie produzierte Album im Digibook weiß sowohl akustisch als auch optisch durch die Bank zu gefallen. Dennoch scheinen Hangatyr nach wie vor noch ein relativ unbeschriebenes Blatt in der heimischen Szene zu sein. Grund genug also, um Sänger und Gründer Silvio die Geschichte der Band einmal ausführlich Revue passieren zu lassen.

logoDaniel: HELL-ö Silvio! Bitte erzähl uns doch zunächst, wann und wie es genau zur Gründung von Hangatyr kam!

Silvio: Es war Anfang des Jahres 2006 als Schwarze Stille in die Brüche ging. Ali und ich hatten aber Bock, weiterhin gemeinsam Musik zu machen. Marco bekundete auch sein Interesse, und mit Tele, der ein guter Bekannter und Freund von uns ist, hatten wir einen zweiten Gitarristen, der sofort mit einstieg. Bis auf einen Drummer war Hangatyr komplett und aus der Wiege gehoben.

Daniel: Ali und Du sowie Euer Ex-Bassist Marco, Ihr hattet zuvor in einer Black Metal-Band namens Schwarze Stille gespielt. Sind Hangatyr nur eine Fortführung unter anderem Namen oder tatsächlich eine komplett neue Band gewesen?

Silvio: Für mein Empfinden sind wir seit der Gründung eine komplett neue Band. Die Arbeitsweise hatte sich nicht wesentlich verändert, jedoch das musikalische Verständnis und die Grundausrichtung.

Daniel: Inwiefern unterscheiden sich Hangatyr und Schwarze Stille, sowohl musikalisch als auch textlich?

Silvio: Zu unserer Gründungszeit war der Pagan Metal-Hype gerade auf seinem Höhepunkt. Ich selber habe Scheiben von Menhir, Surturs Lohe, Cruachan oder den göttlichen Mithotyn rauf und runter gehört. Die Sehnsucht, selbst solche großartige Musik zu schaffen, war allgegenwärtig. Und so war auch dies die Triebfeder für Hangatyr. Bei Schwarze Stille war die Musik eine Mischung aus Black- und Death Metal. Im Lyrischen standen nunmehr Themen der nordischen Mythologie auf dem Plan, wobei die Texte der Vorgängerband doch eher der Fantasie entsprungen sind.

Daniel: Der Name Hangatyr scheint der Nordischen Mythologie entnommen zu sein. Was bedeutet er genau?

Silvio: Da hast Du Recht. Hangatyr ist einer der vielen Namen des Göttervaters. Ihn bekam er von den Skalden verpasst, als sie sein Opfer besangen. Er hing neun Tage am Weltenbaum, von einem Speer verwundet. Am Ende dieser Tortur empfing er das Wissen über die Runen. Ich deute diese Geschichte in dem Sinn, dass du bereit sein musst, etwas zu geben, um etwas zu bekommen.

Daniel: Eure Musik ist im klassischen, skandinavischen Black Metal-Stil der glorreichen Neunziger Jahre gehalten. Welche Bands haben Euch beeinflusst?

Silvio: Uns erstaunt selbst, dass wir des Öfteren dem Black Metal der Neunziger Jahre zugeordnet werden. Man fühlt sich da schon ein wenig geehrt. Ich glaube, uns haben eine Menge Bands beeinflusst. Wenn man Musik für gut befindet, macht das etwas mit einem. Dies kann sich dann im kreativen Prozess unbewusst auch wieder finden. Aus den Neunzigern gibt es zum Beispiel die „Filosofem" vom Herrn Varg Vikernes, die bleibenden Eindruck hinterlassen hat oder Helheim. Aber auch neuere Bands wie Wiegedood, Afsky, Zmora, Helrunar, Ygg, Nyktalgia oder die ersten beiden Scheiben von Árstíðir Lífsins, das ist alles großartige Musik.

Daniel: Woher nehmt Ihr die Inspiration für Eure Texte? Besitzt Du Bücher wie zum Beispiel „Die Edda“ oder „Die Götter Und Kulte Der Germanen“? Oder sammelst Du auch Ideen in Filmen oder Serien wie „Vikings“?

Silvio: Also ich finde ja jeder Vorzeigegermane sollte unbedingt eine „Edda" im Bücherregal stehen haben! Spaß beiseite, tatsächlich habe ich die Prosa-Edda gelesen, und es stehen auch noch etliche andere Bücher, die sich mit germanischen und mythologischen Themen befassen, in meinem Regal. Anfangs nahm ich diese Quellen des Wissens auch oft zur Hilfe, wenn ich Texte schrieb. Aber auf „kalt“ sprachen die Worte aus mir selbst. Filme und Serien können auch sehr hilfreich sein, wenn man mit Sprache Bilder erzeugen möchte. Nehmen wir einmal an, du möchtest eine unüberwindbare Mauer beschreiben, da ist es schon praktisch, wenn man „Game of Thrones gesehen hat.

Daniel: Warum habt Ihr Euch entschieden, deutsche Texte zu verwenden? Glaubst Du nicht, dass Ihr mit englischen Texten mehr Leute erreichen könntet?

Silvio: Ha, wir machen die Musik nicht, um mehr Leute zu erreichen. Es ist schön und wir freuen uns, wenn es den Leuten gefällt. Aber in erster Linie geht es uns darum, gemeinsam Mucke zu machen, kreativ zu sein und für meinen Teil auch zu kanalisieren. Da stellt sich die Frage auch nicht, ob ich jetzt englisch texten sollte. Ehrlich gesagt, habe ich auch noch nie darüber nachgedacht. Aber hey, ich höre auch viele Bands, die nicht in meiner Muttersprache singen, und wenn die Texte für mich interessant erscheinen, kann ich sie mir übersetzen. Und wenn ich mir vorstelle, ich müsste in einer anderen Sprache singen, wüsste ich nicht, ob ich die Energie so transportieren könnte wie auf Deutsch.

Daniel: Handelt es sich bei „kalt“ eigentlich um ein Konzeptalbum? Oder stehen die Songs in einem bestimmten Zusammenhang? Zumindest aufgrund der Titel („Blick Aus Eis“, „Kalter Grund“, „kalt…“, „Mittwinter“) könnte man ja glatt davon ausgehen.

Silvio: Deine Vermutung ist korrekt. Wir haben für dieses Album sechs Jahre gebraucht. In einer solchen Zeitspanne kann einiges passieren. Als ich die Texte für „kalt“ verfasste, schwangen oft die Erlebnisse von Verlust und Enttäuschung mit. Ich denke, es war eine Art Kanalisierung, dieses zu Papier zu bringen. So könnte man sagen, dieses Konzept hat sich von selbst ergeben.

Daniel: Eure Songs sind mit meist sechs bis sieben Minuten alle recht lang. Ist das etwas, worauf Ihr besonders achtet, oder passiert das eher unbewusst?

Silvio: Ich weiß nicht so recht, teils teils, würde ich sagen. Wir wollen den Riffs und unseren Ideen Zeit zur Entfaltung geben. Wenn wir das Gefühl haben, dieses Thema ist ausgereizt, kommt eine neues oder eine Überleitung zu einem neuen. So wird ein Song unbewusst bewusst so lang, wie er dann am Ende ist. Bei „Blick Aus Eis“ sind wir genauso verfahren, und der ist nur viereinhalb Minuten lang.

hangatyrDaniel: Die Produktion Eures neuen Albums „kalt“ klingt frostig und sauber. Wo habt Ihr das Album aufgenommen, und wer hat produziert?

Silvio: Vielen Dank für das Kompliment. Wir haben die Songs zu dem Album im Chemical Burn Studio in Bad Kösen aufgenommen. Alexander Dietz hat sich richtig reingehangen, und gemeinsam mit ihm ist dann dieser Sound entstanden. Es war eine wahnsinnig intensive Zeit mit guten Gesprächen, viel Bier und großartiger Arbeit.

Daniel: Euer Booklet ist toll! Jeder Songtext hat ein eigenes, dazu passendes Bild bekommen. Welcher Künstler hat Eure Ideen da so exzellent umgesetzt? Und wie seid Ihr mit ihm in Kontakt gekommen? Kanntet Ihr zuvor schon andere Werke von ihm, oder seid Ihr eher zufällig auf ihn gestoßen?

Silvio: Nun, es ist eine Künstlerin. Ute Ruhmann, frei schaffend bei Digital Visions, hat so unheimlich viel Zeit in diese wunderschönen Arbeiten gesteckt. Es gibt noch einige andere Kunstwerke von ihr.So stammt das Cover der neuen XI Dark Centuries („Waldvolk") aus ihrer Feder, die Booklet-Gestaltung der letzten Ferndal hat die Ute ebenfalls gemacht. Ich selbst hatte das Vergnügen, ihr bei all den neueren Arbeiten  über die Schultern zu schauen, denn zu meinem Glück hat sie sich entschlossen, mich zu ihrem Partner zu wählen. So war dann die Kontaktaufnahme relativ unproblematisch, und dieser Umstand hat die Gestaltung enorm erleichtert, kam doch die Idee, jeden Song grafisch in Szene zu setzen, von ihr.   

Daniel: Noch dazu ist das Album in einem Digibook und als Eigenpressung erschienen. War das nicht sauteuer? Und gab es kein Interesse von Plattenfirmen, Euer Album zu veröffentlichen? Oder war Euch das egal, und Ihr habt gar nicht nach einem passenden Label gesucht? 

Silvio: Die Suche nach einem passenden Label haben wir erst gar nicht auf uns genommen. Die Lehre haben wir aus dem Versuch, das letzte Album unterzubringen, gezogen. Wir hatten damals ein halbes Jahr vergeblich die verschiedensten Label angeschrieben. Ich denke, die Lage hat sich in der Zwischenzeit eher verschlechtert. Die Kleinen kämpfen ums Überleben, und für die Großen bist du nicht relevant. So eine unbekannte Band,wie wir es sind, bräuchte da sicher einen namhaften Fürsprecher. Selbst da ist es nicht sicher, dass du unter kommst, denn es ist verständlich, sich in Zeiten der Digitalisierung genau zu überlegen, welche Projekte sinnvoll erscheinen. So haben wir das Digibook in Eigenregie produziert, weil wir zum Einen den Illustrationen von Ute einen stilvollen Rahmen geben wollten und zum Anderen unseren Fans ordentliche Qualität anbieten möchten.

Daniel: Auf dem Backcover sind zwei Runen abgebildet. Häufig werden deutsche Black Metal-Bands, die Runen verwenden, gerne in eine politische Ecke gedrängt, auch wenn sie damit nichts am Hut haben. Gab es da bei Euch schon einmal Probleme diesbezüglich, zum Beispiel auf Flyern für Konzerte oder Ähnliches?

Silvio: Das Runengebinde auf der Rückseite ist die Zusammenführung des Bandnamens in den Runen des älteren Futhark. Mir ist vollkommen klar, dass derlei Symbolik Fragen aufwerfen kann. Ich bin auch gern bereit, mich dieser Diskussion zu stellen. Symbole umgeben uns tagtäglich, seien es Firmenzeichen, Produktlogos, Biosiegel und so weiter. Unsere Rune lässt sich genau dort einordnen. Sie soll nicht mehr bewirken, als uns darin wieder zu erkennen. Und da wir uns nicht, entsprechend dieses bei manch einem möglicherweise entstehenden Eindrucks, verhalten, gab es auch noch nie Probleme in dieser Richtung.

Daniel: Ist eigentlich auch eine Vinyl- oder Kassettenversion von „kalt“ geplant?

Silvio: Es gab schon einige Anfragen von Fans, ob wir auch Vinyl raus bringen. Der Gedanke steht schon, muss aber noch reifen.

Daniel: Spielt Ihr eigentlich auch live? Und wenn ja: Wann und wo kann man Euch demnächst einmal auf der Bühne sehen?

Silvio: Wir spielen unheimlich gern live! Das ist quasi das Sahnehäubchen, hehe! Unter anderem sind wir hier zu sehen:
25.06.2020 Berlin, Blackland
27.06.2020 Sondershausen, Schwarzburger Metalwiese
Und wenn Ihr uns bei Euch in der Nähe sehen wollt, dann ab zu Facebook und fragt uns. Wir würden uns freuen!
 
Daniel: Habt Ihr auch schon einmal für bekanntere Bands, zum Beispiel als Local Support, eröffnet? Und welche Erfahrungen habt Ihr mit diesen Bands gemacht?

Silvio: Da wäre es interessant zu wissen, was für Dich bekannte Bands sind. Sei es drum, ich plaudere ein wenig aus dem Nähkästchen. Mit Angantyr und Nocturnal Depression im From Hell in Erfurt, das war ein klasse Abend! Es waren zwar nicht so viele Leute da, da es an einem Dienstag stattfand, aber trotz allem herrschte eine großartige Stimmung, und die Kollegen von Angantyr waren wunderbar entspannt. Ich erinnere mich an letztes Jahr mit Enisum und Drawn Into Descense. Wir hatten Line-Up-Probleme. Unser Drummer musste wegen der Arbeit kurzfristig den Gig canceln. Wir sind dennoch mit Drumcomputer angetreten und waren völlig verunsichert. Die Jungs von den beiden Kapellen haben uns wieder aufgebaut. Das war unglaublich menschlich! Und dann war da noch ein Gig mit Trollech; haben wir vielleicht gesoffen! Ich bin früh unterm Tisch aufgewacht. Es gab aber auch Momente, wo man sein Equipment permanent im Auge haben musste, weil eine Band Langfinger in ihren Reihen hatten. Aber so etwas kommt glücklicherweise eher selten vor.

Daniel: Habt Ihr eigentlich auch Kontakt zu anderen Pagan-/Black Metal-Bands aus Deutschland? Gibt es hier noch eine Art Szene, die an einem Strang zieht und sich gegenseitig unterstützt?

Silvio: Es gibt durchaus Kontakte zu anderen Bands, und man unterstützt sich auch gegenseitig, soweit das möglich ist. So haben zum Beispiel Surturs Lohe und Bluteck einem Konzert zugesagt, das wir selbst organisiert haben. Obwohl vorher keiner wusste, ob und wie viele Leute es besuchen werden. Oder XIV Dark Centuries haben kurzfristig zugestimmt, uns auf ihrer Release Show mitspielen zu lassen, damit wir unser eigenes Release feiern können. Der Andy von Tavaron hat uns bei der Merch Produktion geholfen. In meinen Augen ist da wohl eine Szene, die an einem Strang ziehen kann, wenn sich die Protagonisten einig sind.

hangatyrDaniel: Von Hangatyr gibt es bislang ein Demo und drei Alben. Sind alle Tonträger heute noch erhältlich? Und wenn ja, wie kann man am besten mit Euch in Kontakt treten, um sie zu bekommen?

Silvio: Unser erstes Album „Helwege“ ist ausverkauft, aber es steht noch als digitale Version auf unserer Bandcamp-Seite zur Verfügung. Alle anderen Alben sowie diverses Merchandise kann man ebenfalls dort finden. Oder Ihr wendet Euch einfach über Facebook direkt an uns.

Daniel: Wie sehen Eure Zukunftspläne mit Hangatyr aus?

Silvio: Die letzte Zeit war sehr aufregend und mitunter auch anstrengend. Ich für meinen Teil möchte das erst einmal sacken lassen. Ich denke aber, der Drang, etwas Neues zu schaffen, wird nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht brauchen wir für das nächste Album nur die Hälfte der Zeit.

Daniel: Na gut, Silvio! Dir gebührt dann noch das Schlusswort!

Silvio: Danke für Deine Zeit, Daniel. Allen, die es bis hier her geschafft haben, sei auch gedankt. Schaut einfach mal bei uns vorbei, sei es im Netz oder auch live.

Cheerz!

https://de-de.facebook.com/derGehangene/

https://hangatyr.bandcamp.com/



Autor: Daniel Müller