AN EVENING WITH BRUCE DICKINSON

Leipzig, Haus Auensee, 27.01.2023


Bei hässlichem Nieselregen und Werten um den Gefrierpunkt, kommen wir kurz vor 19 Uhr am Haus Auensee in Leipzig an. Ich habe bereits viel Positives über die Location gehört, war aber bisher noch nie vor Ort. Umso mehr freue ich mich, dort mal wieder einen meiner absoluten Lieblings-Metal-Sänger zu erleben, der aber statt einer musikalischen Darbietung heute einen „Spoken Word"-Abend zelebrieren wird. Dieser Abend ist Teil einer kleinen Tour durch ausgewählte Hallen, bei der er in Deutschland in Köln, in Bremen und eben heute Abend in Leipzig auftritt.

Dass Bruce Dickinson - seines Zeichens Frontmann der Eisernen Jungfrauen (Iron Maiden) - diesen „Spoken Word"-Abend in seiner Muttersprache (auf Englisch) bestreiten wird, hat wohl nicht jeder Ticketkäufer im Vorfeld mitbekommen. Ein Gast spricht mich dazu im Foyer an, ob ich das gewusst habe und wirkt dabei etwas verunsichert, da sein Englisch eigenen Angaben nach eher rudimentär vorhanden ist. Ich hoffe, dass er trotz dieser Problematik einen schönen Abend hatte. Bruce ist auf jeden Fall sehr gut zu verstehen und bemüht sich von Anfang an, alle im bestuhlten Auditorium mitzunehmen.

Geschätzte 500 bis 600 Gäste sind vor Ort und haben Lust auf einen „Abend mit Bruce", der nahezu pünktlich um kurz nach 20:00 Uhr beginnt. Mister Dickinson betritt die Bühne ganz in schwarz mit roten (!) Turnschuhen und beginnt mit ein paar einführenden Worten über Leipzig und seine Sightseeing-Eindrücke vom Vormittag. Auf seiner „Spoken Word"-Reise versucht der Künstler, in jeder Stadt, in der er auftritt, seinen eigenen Wissensdurst zu stillen und besucht dabei gern historische Plätze oder Gebäude. Dickinson ist nicht nur sehr geschichtsinteressiert, sondern hat auch einen Bachelor in Modern History.

Nach der Einführung geht es in Dickinsons eigene Geschichte, die er immer wieder mal zwischendurch auch von der humoristischen Seite beleuchtet. Er wurde am 7. August 1958 in Worksop, Nottinghamshire, in England geboren. Worksop ist eine kleine Stadt in Mittelengland nahe des Sherwood Forest. Dickinson hat herausgefunden, dass es eine Top 10-Liste der berühmtesten Menschen aus Worksop gibt und er nur auf Platz drei liegt. Nummer eins ist ein Schauspieler namens Donald Pleasence (unter anderem der Bösewicht im James Bond Streifen „Man Lebt Nur Zweimal" und Dr. Loomis im Original „Halloween“), Platz zwei belegt der Golfer Lee Westwood, und auf drei folgt eben Dickinson. Auf Platz zehn ist übrigens... niemand. „Unsere Stadt hat es also nicht mal geschafft, zehn berühmte Leute hervorzubringen", witzelt der Iron Maiden-Frontmann.

Von seiner Kindheit geht es dann über seine Zeit auf einer Schule in Sheffield bis hin zu seiner Aufnahmeprüfung in den Schulchor - die ergab, dass er ein Non-Singer ist und somit nicht zum Chor zugelassen wurde. Irgendwie spannend diese Einschätzung des Chorprüfers über den Frontmann von Iron Maiden „gar keine Begabung zu haben". Zum Glück gab es später deutlich andere Bewertungen seiner Sangeskunst.

Zum Rock kommt Dickinson dann über Deep Purples „In Rock" Album („eine Second Hand-Scheibe mit vielen Kratzern") und der The Beatles-Song „Let It Be" machte ihn zum Sänger, was er mit einem kleinen Auszug aus dem Song eindrucksvoll beweist. Es folgen die ersten Banderfahrungen und dann der Einstieg bei Samson, die Band mit der Dickinson seine ersten Karriereschritte machte. Die Zeit bei Samson war schön, das hört man aus seinen Erzählungen, aber er merkt auch an, dass in den Jahren der gemeinsamen Zusammenarbeit „Samson alle Fehler gemacht haben, die man machen kann" und daher der große Durchbruch leider auf der Strecke blieb.

Der Zuhörer bekommt während des rund einhundertundzehn-minütigen ersten Teils des Abends intime Einblicke in Dickinsons Vergangenheit, die der Iron Maiden-Sänger durch reichhaltige Gesten und Mimiken unterstreicht. Oft hat man das Gefühl, dass man direkter Augenzeuge seiner Geschichten ist, so detailreich und interessant präsentiert er die Episoden aus seinem bewegten Leben. „Wussten Sie zum Beispiel, dass es die Angst gibt, von Enten beobachtet zu werden? Anatidaephobieheißt das Ganze“, und spielt auch eine Rolle in einer von Dickinsons Geschichten während seiner Samson-Zeit.

Natürlich erzählt Bruce dann, wie er zu Iron Maiden kam und Anekdoten über seine Zeit bei der Heavy Metal-Legende. Dabei nimmt er sich selbst auf die Schippe, als er den Zuschauern drei seiner Bühnen-Outfits zeigt, auf denen er tatsächlich circa 1986 auf einem Bild Michael Jackson-Sneaker trägt. Zum Ende des ersten Teils wird es ernster, und Dickinsons sonst fröhliches und begeistertes Gesicht erstarrt ein wenig. Das Thema ist nun seine Krebsdiagnose kurz vor Weihnachten 2014, als er wegen einer Geschwulst am Nacken zum Arzt ging und mit der Diagnose eines golfballgroßen Tumors in der Zunge wieder nach Hause kam. Aber auch diese Klippe umschifft der Musiker und gilt nach einer Chemotherapie im Jahr darauf als geheilt. Mit diesen positiven Worten beschließt Dickinson diesen ersten Teil kurz vor zehn und entlässt das Auditorium in eine knapp halbstündige Pause.

In der Pause laufen diverse Tracks aus Dickinsons Solo-Zeit über die Anlage des Haus Auensee. Nun hat der Besucher die Möglichkeit, auf bereitliegenden Karten seine Fragen für den zweiten Teil zu stellen, in dem eine von Dickinson inspirierte Anarchie regiert und aus den Fragen des Publikums improvisiert wird. Nach knapp fünfundzwanzig Minuten ist der Iron Maiden-Sänger zurück auf der Bühne mit einem Stapel Karten in der Hand.

BRUCE DICKINSON An Evening With Bruce 3 SPECIALS 2023Der Wissensdurst der Zuschauer ist groß: neben der Bitte um Tipps für das Fechten (Dickinson ist nicht nur Sänger, sondern auch Pilot, Fechter, Luftfahrtunternehmer et cetera), der Frage nach seinen Ritualen vor seinen Live-Auftritten und seinen Techniken, wie man mit fast fünfundsechzig noch so eindrucksvolle Konzerte singen kann, wird er auch nach seinem Favourite Spice Girl gefragt. Nach kurzem Überlegen gibt er eine Gegenfrage: „Who is the Spice Girls?", und lächelt dabei vielsagend. Da heute Iron Maiden-Gitarrist Janick Gers Geburtstag hat und ein Zuschauer per Karte darauf hinweist, gibt es von Publikum und Bruce ein kleines Happy Birthday-Ständchen. Einer darauffolgenden Bitte, doch einfach mal den Lieblingssong des Kartenschreibers „Revelations" von Iron Maiden zu intonieren, kommt Dickinson gern nach und schmettert ein paar Zeilen aus dem Song ins Publikum, dass sich mit tosendem Applaus bedankt. Kurz darauf singt beziehungsweise spielt er auch noch „Alexander The Great" auf einem von einem Kartenschreiber angehefteten Kazoo, und wieder ist die Menge am Ausrasten. Dickinsons Improvisationskunst ist etwas ganz Besonderes und begeistert das ganze Haus Auensee. Die letzte Geschichte widmet Dickinson seinem Drummer Nicko, der tatsächlich vor ihm erster Pilot bei Iron Maiden war. Mit dem Reim „Is it a bird or is it a plane? No, it´s Nicko McBrain.", und der Aussage, dass wenn Schlagzeuger fliegen können, Sänger es auch können müssen, verabschiedet sich Bruce nach weiteren vierzig Minuten und wird mit tobendem Applaus in die Nacht entlassen.

Danach verlassen die Besucher das Haus Auensee, das heute Abend einen Auftritt der Spitzenklasse gesehen hat. Und wir wollen festhalten, dass Dickinson nicht nur ein großartiger Heavy Metal-Sänger ist, sondern auch ein toller Entertainer eines humoristischen und spannenden Abends war.

Autor: Dirk Schneider - Pics: Dirk Schneider