BARCLAY JAMES HARVEST - GLASNOST - LIVE


Label:POLYDOR
Jahr:1988
Running Time:50:53
Kategorie: Classics
Liverecording
 

Glasnost“ war das vierte Live-Album der Engländer Barclay James Harvest; das zweite, das sie in Berlin aufgenommen haben. In diesem Fall aber im Osten. Sie waren die erste westliche Band, die ein Freiluft-Konzert in der ehemaligen DDR geben durfte. Nachdem das Vorverkaufssystem zusammengebrochen war, wurde freier Eintritt gewährt. Zwischen 130.000 und 170.000 Zuschauer fanden sich im Treptower Park in Ost-Berlin zusammen, um die Band am 14.07.1987 zu sehen. Dieses Live-Album erschien dann im Folgejahr. Die CD enthält zwölf Tracks. Es gab später noch eine Doppel-CD mit dem kompletten Konzert. In meiner Privatsammlung befindet sich die Erstauflage der LP mit zehn Songs. Mit Kirchenglocken wird der standesgemäße Opener „Berlin“ vom „XIII“-Album (1978) eingeleitet. Hier geht es noch sanft zu, doch dies ändert sich im weiteren Verlauf. Es folgt „Alone In The Night“ vom damals aktuellen „Face To Face“-Album, welches hier mit vier Tracks vertreten ist. Es beginnt mit Akustikgitarren, etwas befremdlich klingenden E-Drums, tollem mehrstimmigem Harmoniegesang und flächendeckenden Keyboards und kann locker mit den damaligen, angesagten, großen AOR-Bands aus der Zeit mithalten. Auch das groovende „Hold On“ vom eher schwachen 1894er Album „Victims Of Circumstance“ kommt mit guter AOR-Bandbreite daher und bietet ein kleines Percussion-Solo in der Mitte. Bei „African“ erklingen wieder die E-Drums, die hier aber aufgrund der Tribal-Sounds passend zum Titel sind. Mit der Ballade „In The Wings Of Love“, die ein schönes Gitarrensolo enthält, wird die A-Seite abgeschlossen. Ein Endlos-Solo in bester Pink Floyd-Manier gibt es dann zu Beginn der B-Seite bei „Poor Man´s Moody Blues“ vom Erfolgs-Album „Gone To Earth“ (1977), einem von nur drei klassischen Songs aus den glorreichen Siebzigern. Es folgt „Love On The Line“ vom ersten Pop-Album der Band, „Eyes Of The Universe“, aus dem Jahr 1979.

Das Album war an sich nicht toll, aber dies hier ist ein angenehmer Rocker mit tollem Ohrwurm-Refrain und gutem, mehrstimmigem Gesang, zudem auch deutlich schneller gespielt als auf Platte. Nach einem kurzen „Danke schön!“ und einer Ansage auf Deutsch geht es direkt mit „Medicine Man“ von 1971 weiter, das mit verzerrten Gitarren und Toms ungewohnt viel Druck aufbaut. Es ist der härteste Song des Albums und überzeugt wieder mit einem langen Solo. Man merkt sofort, dass die alten Klassiker weitaus verspielter sind als das poppige Zeug aus den Achtzigern. Mit der Ballade „Kiev“ gibt es dann sanfte Töne zum Runterkommen. Mit einer erneut auf Deutsch verfassten Ansage von Les Holroyd, um das Publikum zu animieren, gibt es den unausweichlichen und viel gefeierten Mega-Hit „Hymn“ zum Abschluss des Sets. Apropos Mega-Hit: Auf die langweilige Radio-Pop-Nummer „Life Is For Living“ von 1981 wurde hier glücklicherweise verzichtet. Was mich an diesem Live-Album total fasziniert, ist die Tatsache, dass die Setlist hier fast nur aus den poppigen Sachen der Achtziger besteht, das Album aber richtig rockt! Für viele Prog-Fans waren Barclay James Harvest immer zu seicht und zu geradlinig. Davon ist hier aber nichts zu hören. Zwar gibt es hier sehr viel mehr AOR als Prog, was 1987 aber völlig normal war, auch für andere Progressive Rock-Bands (siehe Yes, Genesis, Rush). Dass es hier so gut rockt, ist dennoch etwas ungewöhnlich, denn Barclay James Harvest kommen mit nur einer E-Gitarre aus, haben aber gleich drei Keyboarder mit an Bord. Dennoch klingt hier nichts zu steril, überladen oder zu glatt gebügelt wie die Achtziger-Alben, von denen hier der Großteil gespielt wird. Die Songs sind sehr originalgetreu und „auf Nummer sicher“ gespielt. Progressive Improvisationen gibt es hier nicht. Aber das macht in diesem Fall auch nichts. „Glasnost“ überzeugt mit einem perfekten, glasklaren Sound, der keine Wünsche übrig lässt. Das Tolle und Besondere an diesem Live-Album ist, dass es echt gut abgeht, und das, obwohl es mitten in ihrer schmalzigen Pop-Phase erschienen ist. Es sollte also keine Barclay James Harvest- Fans abschrecken, die nur die Alben aus den Siebzigern mochten. Aber auch AOR-Rocker, die sonst nichts mit der Band anfangen können, sollten Gefallen an „Glasnost“ finden. Ein tolles Live-Album, das sehr gut am Stück funktioniert!

Tracklist:
Seite 1:
Berlin
Alone In The Night
Hold On
African
For The Wings Of Love
 
Seite 2:
Poor Man´s Moody Blues
Love On The Line
Medicine Man
Kiev
Hymn

Line-Up:
John Lees – Guitar, Vocals
Les Holroyd – Bass, Acoustic Guitars, Vocals
Mel Pritchard – Drums
Kevin McAlea – Keyboard
Bias Boshell – Keyboard
Colin Browne – Keyboard

Note: Keine Wertung
Autor: Daniel Müller


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