HIGH TIDE - SEA SHANTIES

Label: | LIBERTY |
Jahr: | 1969 |
Running Time: | 39:38 |
Kategorie: |
Classics |
Wie das halt immer so ist beim Personenkult des leidenschaftlichen Sammlers: Man entdeckt neue Bands durch Bands, die man bereits kennt. „Futilist´s Lament" kannte ich nur von den italienischen Horror Metallern Death SS. Dass es ein Coversong von High Tide ist, wusste ich zunächst gar nicht. Hawkwind kannte ich nur, weil Lemmy Kilmister von Motörhead dort vorher war. Dort spielte auch ein gewisser Simon House lange Keyboard. Und dann schaute ich mir High Tide mal genauer an. „Futilist´s Lament" ist der Opener ihres 1969 erschienenen Debüts „Sea Shanties". Auf dem Album spielt auch Simon House, hier allerdings Violine anstatt Keyboard. Das ist schon abgefahren! Aus heutiger Sicht kann man High Tide nicht nur als Proto Metal ansehen, sondern „Sea Shanties" vielleicht auch als allererstes Progressive Metal-Album überhaupt. Wie schweine heavy das Ding ist! Der Gitarrist Dennis Gerrard suchte 1969 eine Backing Band, die sein einziges erschienenes Solo-Album „Sinister Morning" einspielen würde. High Tide taten dies. Im Gegenzug produzierte Dennis wiederum das Debüt der Band. Beide Alben entstanden innerhalb von nur drei Monaten. Heute kennt kaum noch jemand dieses Album. Beim Hören dieses Meisterwerkes frage ich mich jedoch, warum das so ist. Uns liegt hier ein fast perfektes Prog-Album vor. High Tide kamen mit nur einer Gitarre aus. Die Violine wurde hier wie eine zweite Gitarre eingesetzt. Folkig klingt hier also rein gar nichts. Vielmehr wurde – wahrscheinlich auch durch den schräpigen Sound – aus Versehen der Metal erfunden. Die Gitarre klingt ähnlich fies bei bei Blue Cheer. Allerdings waren High Tide nicht so bluesig unterwegs. Sechs Songs sind hier vertreten, die fast alle zwischen fünf und neun Minuten lang sind. Höhepunkt dürfte das neunminütige Instrumental „Death Warmed Up" sein, wo sich Gitarre und Violine im Soloteil minutenlang wahrlich duellieren.
Es hat fast etwas wie eine Improvation beim Jazz, auch wenn es hier keine Einflüsse dieses Genres gibt. Der Gesang von Tony Hill erinnert stark an Jim Morrison von The Doors. Die Texte sind durchweg negativ und melancholisch, was sich auch in der Art des Gesangs ausdrückt. Von der Spielfreude her hat man den Eindruck, dass das Album live eingespielt wurde. Es klingt über weite Strecken wie eine Jam-Session, bei der sich die vier Musiker in Extase spielen. Der Sound hat – passend dazu – auch einen gewissen Rehearsal-Charakter. Sauber produziert geht anders. Aber genau dadurch kommt erst diese Scharfkantigkeit und diese unglaubliche Heavyness zustande, die zu der Zeit wohl nur noch Led Zeppelin inne hatten. Der balladeske Anfang von „Pushed, But Not Forgotten" mit der seichten Violinen-Melodie hat etwas von Kansas, die es aber damals noch nicht gab und mit denen man ansonsten aber keine Ähnlichkeiten hat. Überhaupt ist es schwierig, High Tide in eine Schublade zu stecken. Denn obwohl hier Simon House mitspielt, klingt man nicht wie Hawkwind. Trotz des Jim Morrison-ähnlichen Gesangs klingt man nicht wie The Doors. Und wie Death SS, die den Opener dieses Albums viele Jahre später gecovert hatten, klingen sie natürlich auch nicht. Musikalisch liegt man wohl am ehesten irgendwo zwischen Blue Cheer, Cream, Atomic Rooster und Necromandus. Dennoch hatten High Tide einen obskuren, eigenwilligen Sound. Wer das Black Sabbath-Debüt und generell Prog aus den Siebzigern mag, der sollte sich dieses Meisterwerk unbedingt mal anhören! Einen halben Punkt Abzug gibt es für die räudige Produktion, die eines Rock-Albums eigentlich nicht würdig ist. Ansonsten ist hier aber alles im grünen Bereich, inklusive dem stimmungsvollen Artwork von Paul Whitehead, der auch die Frühwerke von Genesis und Van Der Graaf Generator zwischen 1970 und 1973 veredelte. Pflichtkauf!
Tracklist:
Seite 1:
Futilist´s Lament (5:17)
Death Warmed Up (9:08)
Pushed, But Not Forgotten (4:43)
Seite 2:
Walkin´ Down Their Outlook (4:58)
Missing Out (9:38)
Nowhere (5:54)
Line-Up:
Tony Hill – Guitars, Vocals
Simon House – Violin
Peter Pavli – Bass
Roger Hadden – Drums
Note: 9.5 von 10 Punkten
Autor: Daniel Müller