DOCUMENT 6 - Mit Grindcore im Blut gegen die Vernichtung der Tiere


Manchmal übersieht man eine Original-CD, die einem zum Rezensieren zugeschickt wurde. Und manchmal entschuldigen wir uns mit einem Interview. Aktuell hat die Formation „Grindpa´s Hobby“ auf dem Markt und Gründungsmitglied, Drummer und Sympatikus Rolf kam mit seinen zwei Jungs aus Aachen ins wunderschöne Duisburg, um Rede und Antwort zu stehen. In solch einer Situation bekommt man im Wohnzimmer mitsamt Kaltgetränken immer einen besseren Eindruck. Mit dabei, Gitarrist Frank und Basser Rob...los geht es!

logoSteve: Englischer Bandname, deutsche Lyrics... Was ist das Document 6?

Rolf: Document 6 kommt aus der Maya-Welt. Basierend auf dem Dresdner Kodex (authentischen Handschriften der Maya). Im sechsten Dokument geht es um den Dämon Ah puch (dargestellt als Skelett mit Krokodilrücken). Er wird begleitet von einem Wolfswesen und von einer Eule. Wenn Ah puch die heimsucht, nimmt er dich mit in die sechste Welt, wo du den ganzen Weltschmerz spüren wirst. Das kann man auch nicht mehr abstellen. Uns ist es als Ziel mit Document 6, den kompletten Schmerz der Welt musikalisch aufzuzeigen. Den wollen wir rausbrüllen. Das ist ein faszinierender Gedanke den Rest seines Dasein so zu verbringen.

Steve: Hast du die Bandgeschichte so in groben Zügen parat?

Rolf: Es begann im Januar 2012 mit der Gründung. Relativ schnell stand der erste Gig. Zackig kam eine kleine Tour durch Israel, jedoch mit einer komplett anderen Mannschaft. Wir wollten den Anspruch haben, deutschsprachigen Grindcore zu machen, klangen aber erst mal etwas Death Metal-lastig.

Steve: Wie jetzt Israel? Wie kommt man denn zuerst dahin?

Rolf: Hat sich einfach so ergeben. Man hat angefragt, ob wir nicht Lust hätten. Wir kannten die Leute gar nicht. War also ein Risiko-Unternehmen. Das Dumme war: Drei Monate vor dem Start hatte die gesamte Band aufgegeben. Ergo musste ich schnellstens eine ganz neue Mannschaft aufbauen. Klappte und natürlich musste in kürzester Zeit eine Setlist gestaltet und eingespielt werden. Wir kamen dann mit neuen Songs und einem leicht veränderten Stil an.

Steve: Ich frage mal jetzt ganz provokant: Es ist doch einfacher, Lieder schnell einzustudieren mit Vocals, die kein Mensch versteht und Drums, die ewig denselben Beat aufbringen; im Vergleich mit einem Songaufgebot von Dream Theater, mit achtundvierzig Wechsel pro Track. Oder vertue ich mich da?

Rolf Du vertust Dich ganz gewaltig.

Steve: Warum wusste ich, dass Du das jetzt sagst? Haha!

Rolf: Also, wenn Du Dich ein bisschen mit uns und unserer Musikrichtung auseinander setzt, wirst Du schnell merken, das wir für eine Grindcore-Band verdammt abwechslungsreich sind.

Steve: Das muss ich Dir jetzt einfach mal so glauben, denn ich höre normalerweise keinen Grindcore und Eure sieben Lieder kamen mir jetzt nicht so vor. Ist schon klar, dass man bei dem Tempo Kondition haben muss, aber vielleicht nicht so viel Können...

Rolf: Ja, aber bei unserem Variantenreichtum und den Breaks muss alles auf dem Punkt sein.

Steve: Wer singt von Euch?

Rolf: Alle drei.

Steve: Also, ich habe ja mehrere Sprachen gelernt und nicht ein Wort verstanden; in gar keinem Beitrag. Da muss man doch nichts auswendig lernen, oder? Aaarrghhbbürzelknurps geht immer, ja?

Rolf: Also wir haben Texte... Ich verstehe sie auch... Man kann mitsingen, wenn man die Lyrics hat, aber es ist natürlich nicht Sinn und Zweck der Sache, alles perfekt auszusprechen.

Steve: Wie weit waren wir jetzt mit der Bandgeschichte?

Rolf: Na ja, es gab einige neue Line-Ups... nur ich war immer dabei. Ich habe meist alles in Eigenregie gefahren: Management, Merchandise, Social Media, Recordings, Mixing... und das bis heute... ohne meinen beiden Jungs hier zu nahe zu treten. Wobei sich das mehr und mehr auf drei Schultern verteilt. Wir sind auf jeden Fall alle drei gleichberechtigt und seit zwei Jahren stabil, aber in die Verantwortung muss man reinwachsen. Wir sind immer „grindiger“ geworden, und da wollte ich hin.

Rob: Rolf sah mich live spielen und sagte: „Du bist Grind... Willst Du bei mir mitmachen? Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, haha!

Steve: Und Du bist der Gitarrist. Vorher in irgendeiner bekannten Formation aktiv gewesen?

Frank: Nein.

Steve: Aaah, ein Naturtalent.

Frank: Das würde ich jetzt nicht sagen; nur dass Document 6 meine erste Band ist.

Steve: Ich finde Eure Musikrichtung ist ein extremes Nischen-Genre. Wie kommt man denn überhaupt auf den Trichter, insofern man ernste Musik samt Message machen möchte und einen Lifestyle mitbringt, darauf, Grindcore zu spielen, anstatt einen Stil aufzugreifen, mit dem man vielleicht weitaus mehr Publikum erreicht? Das ist doch mit Eurem Genre nicht zu schaffen, oder?

Rolf: Napalm Death haben das gemacht. Ganz, ganz wichtige Band... keine Nische,  und die kennt wirklich jeder. Die haben den Grind mit groß gemacht. Eine Musik muss zu Dir passen, und es muss im Hirn „Bämm“ machen, sonst kannst Du auch Schlager spielen. Das ist Grindcore für mich. Ich habe des Öfteren in Punk- oder Brutal Death-Bands gespielt, aber auf Dauer war es einfach langweilige Scheiße für mich. Ich will nichts anderes machen.

Frank: Bei mir ist es etwas anders, da ich musikalisch gar nicht aus dem Grindcore komme. Ich bin eher im Death- und Black Metal unterwegs. Die Jungs haben mich gefragt, und meine Sachen sind ja jetzt nicht Lichtjahre vom Grind entfernt, und so kam ich zu einer Probe. Die Jungs sind nett, es machte Spaß... einfach geil! Ich mag die Einfachheit, die vom Punk mit reinspielt, und muss mir nicht die komplexesten Riffs merken.

Rolf: Obwohl er das kann, haha.

Rob: Ich komme aus dem Gore-Grind und Death Metal, und für mich ist auch die Message wichtig. Grind ist Protest. Das liebe ich.

Steve: Wo ist jetzt der Unterschied zwischen Grindcore und Gore-Grind?

Rolf: Also bei Gore-Grind verstehst Du gar keinen Gesang, und bei Coregrind noch ein bisschen, haha.

Steve: Also als ich noch aktiv war, hieß es; „I gotta Rocket in my Pocket and nothing´s gonna stop it!“. Was heißt, man versteht gar nichts?

Frank: Die haben noch nicht mal Texte.

Rolf: Im Grindcore wird mehr „gegurgelt“, haha.

Rob: Es geht um Atmosphäre, und man hat die Stimmlagen, zum Beispiel im Old School-Style zwei Oktaven nach unten gelegt. Ein Pitch-Shifter wird benutzt.

Steve: Puuh! Ich hoffe, ich habe das alles richtig verstanden. Wie agiert Ihr jetzt in Corona-Zeiten?

Rolf: Gelder kommen noch an. Aber das stammt eher von CD- und Merchandise-Verkäufen. Wir hatten auch vor Corona eher weniger Gigs. Finanziell es sich somit eher gar nicht ausgewirkt. Wir haben halt schneller die fünfte Document 6-CD herausgebracht.

document 6Steve: Jetzt gab es bereits verschiedene Versionen von Auftritten, Strandkorb-Konzerte, Shows in Autokinos, Online-Auftritte und Mini-Club-Gigs. War für Euch nichts dabei?

Rob: Wir haben uns eben mehr Zeit auf die CD-Produktion und die Vermarktung gelegt. Vorher haben wir hauptsächlich in den Niederlanden gezockt. In Zukunft müssen wir sehen, was überhaupt noch möglich ist.

Rolf: Wir haben uns um Gigs nicht gekümmert und haben bereits die nächste Scheibe in Angriff genommen. Die nächste EP soll ein Split werden.

Steve: Mit?

Rolf: Das wissen wir noch nicht. Ich denke, dass allein wegen Corona erst gegen Ende 2021 Konzerte wieder stattfinden können.

Steve: Also früher war ich ja selber Sänger und könnte mir vorstellen, bei Eurer Produktion Background-Vocals einzuschmettern, haha.

Rolf: Dann machen wir das doch einfach.

Rob: Dann bist Du eingeladen.

Steve: Berühmte Worte zum neuen Album? Ein Vergleich zu dem Release davor? Irgendwelche gravierende Unterschiede?

Rolf: Na ja, wir wollten noch mehr Aggressivität, wir wollten härter sein, schneller, einfach mehr Grindcore.

Rob: Es ist straighter geworden im Vergleich zum Vorgänger, und es gibt mehr Botschaft.

Steve: Habt Ihr denn alles zusammen komponiert?

Rob: Ja.

Rolf. Also den Vorgänger hat ja zu fünfzig Prozent noch der alte Gitarrist eingespielt. Ich denke mal, die Unterschiede sind nur marginal. Die Produktion ist etwas fetter. Vielleicht sind wir mehr eine Einheit. Ein bisschen mehr haben wir am Booklet gefeilt mit kleinem Comic-Strip. Wir haben versucht, etwas witziger zu sein, so anhand der Fotos und so. Hat nur keiner gemerkt...

Steve: Wenn Du sagst, dass es niemand gemerkt hat, liegt das daran, dass die Fans in Eurer Szene anders drauf sind? Also wenn Iron Maiden „Pups“ macht, diskutieren die Fans auf achthundert Portalen dreißig Monate lang, haha.

Rolf: Wahrscheinlich sind unsere Fans besoffen beim Anhören der CD.

Steve Das verstehe ich, haha.

Rolf: Ich gehe davon aus, dass viele so ticken wie ich. Eigentlich ist alles egal, nur die Mucke muss stimmen. Alles andere ist Beiwerk.

Steve: Wie sieht es denn in Eurer Szene mit Zuschauern bei Gigs aus?

Rolf: Ich sage mal, zwischen fünfzig bis hundert Gästen. Aber wir haben auch schon vor einem Gast gespielt, haha. Wir haben ja auch schon für größere Acts eröffnet. Da sieht es natürlich ganz anders aus. Und dann reicht es auch. Ich muss nicht vor hunderttausend Mann stehen. Wenn es mal so käme, wäre das aber in Ordnung, haha.

Rob: Besser vor dreißig Mann spielen, die alle Spaß haben, als vor hundert Gästen, bei denen fünfzig Mann wie die Musiker-Polizei abhängen.

Steve: Ich denke aber, das ist nicht verwunderlich. Viele Truppen schüren die Erwartungen ins Unendliche. Ganz unter dem Motto: „Wir killen live alles“! Dann kommen die zehn üblichen Verdächtigen, und auf den Brettern passiert nichts.

Rolf: Wir haben früher, wenn zu wenig Zuschauer da waren, gar nicht gespielt.

Steve: Oh, das gab es bei uns gar nicht. Warum singt Ihr Deutsch?

Rolf: Weil es kaum jemand macht, also in unserer Musikrichtung. Die meisten Gigs werden wir wahrscheinlich in Deutschland spielen, und man sollte wenigstens, wenn man live den Gesang nicht versteht, ihn als Text nachlesen und verstehen können. Mein Englisch ist auch nicht gut, und ich habe da gar keinen Bock drauf.

Steve: Einen Akzent wird man bei den Vocals nicht raushören... Vertraue mir da mal einfach...

Rolf. Deutsch ist meine Sprache. Warum soll ich das ablegen oder gekünstelt in einer anderen Sprache singen? Wenn ich mich mit meiner Frau streite oder die Kinder erziehe, den Kanarienvogel anschreie... mach ich das in Deutsch.

Steve: Lebt der Vogel noch?

Rolf: Ja sicher. Aber warum soll ich mich dem Mainstream anschließen? Fuck you!

Steve: Aber „Fuck you!“ geht noch, haha?

Rob: Außerdem hört sich Deutsch aggressiver an.

Steve: Als Niederländisch. Das glaube ich. Ich habe mal einen Pornofilm in Niederländisch gesehen, haha. Das geht sprachlich gar nicht. Ich müsste nur lachen.

Rolf: Also es gibt jedoch schon einige deutschsprachige Grindcore-Bands.

Steve: Kommen wir mal zum Lied „Treblinka“; ein Thema, wo Leute vielleicht etwas genauer hinhören, besonders wenn Du, wie eben gesagt, in Israel spielst. Wie bereitest Du Dich vor, woher nimmst Du die Informationen? Wie recherchierst Du Deine Sicht der Dinge?

Rolf: Wir nehmen die Texte aus unserem Lebensumfeld. Wir recherchieren nicht großartig. Wir erfinden auch keine Themen oder schreiben irgendwelche Fantasy-Stories. Es gibt jedoch vielleicht vier Felder, die uns gedanklich bewegen: Rassismus. Wir verstehen uns als „linke“ Band. Wir setzen uns für Tierrecht ein. Ich selber bin Antispeziesist (gegen die moralische Diskriminierung von Lebewesen, Anmerkung des Verfassers), lebe vegan, und die beiden anderen Jungs sind Vegetarier. Und die Sozialpolitik liegt uns am Herzen. Und den Text zu „Treblinka" hast Du nicht gelesen, oder?

document 6Steve: Nein, das muss ich zugeben. Lag mir auch nicht vor, da die CD jemand anderes besprochen hatte.

Rolf: Da heißt der Refrain nämlich: „Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka.“ Und dieser Satz kommt noch nicht mal von uns. Er stammt von einem Juden (Charles Patterson, Anmerkung des Verfassers), der Treblinka überlebt hat. Wir sehen, was derzeit oder überhaupt seit langem, mit den Tieren passiert. Das ist ein Vernichtungsfeldzug. Ein industrielles Massenmorden mit nahezu unvergleichlichem Leid, ähnlich wie in Treblinka. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Vom Massenleid nicht von Einzelschicksal ausgegangen, ist diese Situation noch viel katastrophaler. Wir töten zum Beispiel jeden Jahr fünfundfünzig Millionen männliche Küken. Die werden einfach zerschreddert. Die gehen einfach auf den Müll. Deswegen bin ich auch Aktivist.

Steve: Macht Ihr einen Blick in die Zukunft für mich?

Rolf: Es geht so weiter. Wir haben keine großen Pläne, außer der Split-CD. Wir arbeiten nicht darauf hin, gezielt in Wacken spielen zu wollen, haha. Ich würde mich freuen, wenn man auf Google „Grindcore Deutschland“ eingibt, als erstes Document 6 erscheint.

Steve: Ich drücke die Daumen. Das war mal ein völlig anderes Interview, haha. Danke dafür.

Rolf: Wir danken.

https://www.document-6.com/

https://www.facebook.com/Documentsix

https://document6.bandcamp.com/



Autor: Steve Burdelak